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Online als Standard, Präsenz als Ausnahme

 

Mit dieser Frage befasst sich Heidi Kupke im gleichnamigen Artikel aus dem Journal bso 2-2020 des Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung bso.

 

Online als Standard, Präsenz als Ausnahme?

 

Welchen Beitrag leisten Online-Plattformen?

Die geschäftsführende Gesellschafterin der CAI GmbH gibt einen Überblick zu den verschiedenen Online-Beratungsformaten und stellt die von ihr mitentwickelte Online-Plattform vor, die sich spezifisch an Beratende wendet.

Die Veränderung der Lebens- und Arbeitswelten durch die Digitalisierung hat ganz offensichtlich begonnen und betrifft auch die Beratungsbranche. Seit den mit Covid-19 verbundenen Einschränkungen verzeichnen wir eine extrem hohe Nachfrage. Diese hat um ein Mehrfaches zugenommen. Es werden aktuell viele Coachs «wachgerüttelt». Einerseits müssen sie die Existenz ihres Business sichern und andererseits nehmen sie sich nun die Zeit, sich mit der Thematik zu beschäftigen.

Unter Online-Coaching werden ganz unterschiedliche Formate verstanden. Der kleinste gemeinsame Nenner ist der Einsatz von digitalen Medien wie (Video-)Telefonie und Chat, sodass die vorteilhafte Ortsunabhängigkeit unterstützt wird. Telefonie-basierte Coachings bedingen die gleichzeitige Anwesenheit von Coach und Coachee und kommen dem Präsenz-Coaching am nächsten. Erfahrungsgemäss wird das Videobild zu Beginn des Coachings gern genutzt. Während des Coachings tritt dieses jedoch in den Hintergrund und ermöglicht eine Fokussierung auf die eigene Person, sodass die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung steigt. Schütz und Rentsch (2007) führen dies auf die visuelle Anonymität und physische Distanz zurück. Berninger-Schäfer (2017) beschreibt es als «paradoxe Situation der Nähe durch Distanz». Somit eignet sich ein Online-Setting ohne Bild ganz besonders für Beratungen und Coachings, welche unangenehme bzw. schambehafte Themen beinhalten.

Chat-basierte Coachings können zeitversetzt stattfinden. Diese Zeitunabhängigkeit wird zwar grundsätzlich als Vorteil gesehen, verändert jedoch das Coachingsetting. Durch die zeitliche Flexibilität findet das Coaching bedarfsorientierter statt. Erfahrungsgemäss wird für einen Onlinetermin die halbe Zeit des Präsenztermins benötigt, allerdings finden die Onlinetermine häufiger statt, sodass eine «permanentere » Begleitung stattfindet.

(Coaching-)Plattformen ermöglichen zusätzlich den Einsatz von Interventionsmethoden. Diese dienen «der Visualisierung, der Anregung von assoziativem und dissoziativem Arbeiten und kreativem Brainstorming, der gezielten Ressourcenaktivierung und dem Perspektivwechsel» (Berninger-Schäfer 2017). Dass Tools und Methoden überhaupt im Online-Setting eingesetzt werden können, ist für viele Coachs und Beratende immer noch unbekannt. Etliche «unspezifische» Plattformen verfügen über ein Präsentationstool, das sog. Desktop-Sharing sowie sog. Whiteboards, die ähnlich wie Flipchart und Metaplanwand eingesetzt werden: Mittels der Präsentation können beliebige Dokumente gemeinsam angesehen werden, mittels weiterer Funktionen kann auch gemeinsam daran gearbeitet werden. Die Plattformen unterscheiden sich im Funktionsumfang und reichen vom Stift (Freihandschreiben und -zeichnen), Textkarten bzw. Haftnotizen und einfachen grafischen Formen (Linien, Pfeile, Kreise usw.) bis hin zum Einfügen von Bildern (Icons, Grafiken, Fotos) und Einblenden von Hintergründen (Quadranten, Tabellen, Achsenkreuze, SWOT-, Task-, Kanbanboards usw.).

 

Coaching-Plattformen bieten spezifische Tools
Coaching- und beratungsspezifische Plattformen verfügen darüber hinaus über inhaltliche Unterstützung bei der Intervention wie z.B.:

  • Fragesets
  • Fragebögen / Selbsteinschätzungen
  • Bildergalerie
  • Systemische Aufstellung (2D oder 3D)
  • Inneres Team
  • Konfliktlösedreieck
  • Teamuhr

 

Die Visualisierung nimmt eine bedeutende Rolle im Veränderungsprozess ein. Einerseits als Kommunikationsmedium – ein Bild sagt mehr als tausend Worte – und anderseits als Intervention, die weit über die Reduktion von Komplexität hinausgeht. Sie gibt Orientierung, dient der Reflexion und der emotionalen Ansprache und erleichtert die Formulierung schwieriger Themen. Darüber hinaus beinhaltet sie spielerische Ansätze, die eine gewisse Leichtigkeit erzeugen und ganz einfach Spass machen.

Die Dokumentation, die während des Coachings quasi «abfällt», wird von den Coachs als grosse Zeitersparnis wahrgenommen. Auch die Coachees können sofort auf das digitale Protokoll zugreifen. Plattformen, die zeitversetzte Settings unterstützen, ermöglichen den Coachees zudem, dass sie zwischen den einzelnen Sitzungen die virtuellen Räume jederzeit auch ohne Coach betreten können und bei Bedarf «weiterarbeiten» können.

Es entstehen mit diesen neuen Plattformen auch neue Business-Modelle, mit denen für die Begleitung einer bestimmten Problemstellung das Ziel definiert wird, über einen festen Zeitrahmen uneingeschränkter Zugang zum privaten, virtuellen Raum gewährt wird und die Anzahl von Kontakten und Interventionen durch die Coachs, die innerhalb von 24 Stunden reagieren, festgelegt wird.

Vertraulichkeit ist zweifelsohne die Grundvoraussetzung für ein Coaching. Umso erstaunlicher ist es, dass es immer noch Online-Coachs gibt, die sich nicht dafür interessieren bzw. nicht wissen, ob ihre Daten bzw. die Audio- und Videokommunikation verschlüsselt übertragen und wo die Daten gespeichert werden sowie ob unbeteiligte Dritte Zutritt zu den virtuellen Räumen haben.

Der digitale Code besteht zwar aus 0 und 1 – das Online-Coaching ist komplexer. Wir erleben aktuell eine Co-Existenz von Präsenz- und Online-Coaching. Durch den Einsatz von Plattformen in Präsenzformaten entstehen hybride Formen, die einen smarten Einstieg in die Online-Welt ermöglichen. Berninger-Schäfer (2017) prognostiziert, dass das Online-Coaching der Standard und dass Präsenz die Ausnahme werden wird.

Anwendungsbeispiel einer Online-Plattform – CAI World

Die CAI World ist eine Online-Plattform, die seit 2014 verfügbar ist. Zu diesem Zeitpunkt steckte die Online-Beratung noch in der Pionierphase. Technologisch gesehen begann diese Phase 2011, als über WebRTC verschlüsselte Anwendungen wie Datenübertragung, Chat, Videokonferenz und Desktop-Sharing möglich wurden. Damit war die Voraussetzung gegeben, dass Online-Beratung über das Internet ohne Installation irgendeiner Software möglich wurde – einfach über den Browser.

Die Psychologin Elke Berninger-Schäfer entwickelte zusammen mit der Informatikerin und Volkswirtin Heidi Kupke die Idee einer Online-Plattform, auf der sie «einfach coachen» könne, ohne sich um die IT kümmern zu müssen – das war die Geburtsstunde der CAI GmbH. Berninger-Schäfer brachte ihr Coaching-Know-how und Kupke ihr IT-Know-how. Der Slogan lautete: «Coaching Meets IT».

Das Herzstück der CAI World sind die Online-Sitzungen. Dies sind virtuelle Räume, in denen sich Coachs und Coachees sowohl zeitgleich als auch zeitversetzt treffen können. Neben den klassischen Kommunikationsmöglichkeiten (Audio, Video und Chat) stehen zahlreiche Prozesse und Tools zur Verfügung. Das Konzept der «Karlsruher Schule» – ein systemisch-lösungsorientiertes Coaching-Konzept mit klientenzentrierten, hypnosystemischen und neurowissenschaftlichen Aspekten – steht als Leitfaden den Coachs zur Verfügung. Die Coachs können selbst eigene Fragen hinterlegen und so weitere Coachingkonzepte nutzen. Die Tools zeichnen sich insbesondere durch ihre visuellen und interaktiven Nutzungsmöglichkeiten aus. Anliegenspezifisch stehen aktuell ca. 30 interaktive, visuelle Tools zur Verfügung. Besonders beliebt sind das innere Team, das Systembild (Aufstellung), der Ressourcenbaum, das Soziogramm, die Teamuhr und das Konfliktlösedreieck.

Zusätzlich gibt es allgemeine Tools wie einen Präsentationsmodus, der das gemeinsame Betrachten von Dokumenten ermöglicht und z. B. in der Online-Ausbildung genutzt wird, Desktop-Sharing, Whiteboard und Aufgabenlisten.

Seit 2014 wächst die Zahl der Nutzenden, die mit der CAI-Plattform arbeiten, kontinuierlich. Im Beratungskontext sind es aktuell über 6000 neben mehr als 25 000 im Bildungskontext. Die CAI World wird in der Schweiz bereits von 6 Hochschulen (Lehre und Weiterbildung), Freiberuf lern, Coaching- und Beratungsunternehmen und Therapeuten genutzt. Neben dem Coaching wird die CAI World in der Beratung, anonymen Beratung, Laufbahnberatung, Therapie und Supervision sowie im Team Development eingesetzt.

Wir selbst entwickeln nach Scrum und nutzen im Daily täglich das integrierte Scrum-Board. Auf unserer eigenen Roadmap stehen weitere Beratungsformate sowie die Online-Unterstützung von Design-Thinking-Prozessen, in denen zusätzlich die integrierten Online-Fragebögen zum Einsatz kommen, und der Ausbau der Digital Leadership und Blended E-Learning-Formate.

Bis heute haben wir keinen einzigen Coachee geschult – sie benutzen die CAI World intuitiv bzw. werden vom Coach geführt. Um den Beratungsprozess steuern zu können, sollten allerdings die Coachs sicher im Umgang mit den Medien und dem veränderten Online-Verhalten sein. Als Anbieter setzen wir «nur» eine gute Internetanbindung und einen aktuellen Browser voraus.

Ethikrichtlinien und Datenschutz sind für uns selbstverpflichtend. In der Schweiz betreiben wir einen Server, damit die Daten in der Schweiz bleiben. Die Kommunikation ist verschlüsselt, und die Inhalte werden AES-verschlüsselt gespeichert.

 

Literatur

  • Berninger-Schäfer, E. (2018), Online Coaching, Heidelberg: Springer Verlag

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